Ein großes Thema in der Streetfotografie ist die Angst. Man macht Bilder von fremden Menschen ohne sie um Erlaubnis zu bitten. Für viele Menschen hat das den Geschmack des Verbotenen. Ist aber nicht so. Das soll aber hier nicht das Thema sein.
Woher kommt die Angst?
Angst ist ein Bestandteil des menschlichen Lebens und schützt uns vor Verderben und Verlust. So war das immer in der menschlichen Entwicklung und daher ist das halt bei den Menschen “eingebaut”. Viele Ängste sind irrational aber das hilft hier natürlich nicht weiter, denn die Angst ist trotzdem vorhanden. Es ist schon einmal gut zu wissen, dass dies völlig normal ist. Man befindet sich mit seiner Angst also in guter Gesellschaft und die Ängstlichen sind immer in der Mehrheit. Das ist gesellschaftlich auch sehr sinnvoll, sonst würde es drüber und drunter gehen. Einige Ängste kann man aber ohne Weiteres abbauen, ohne das das eigene Leben dadurch den Bach runter geht. Das gilt auch für die Fotografie.
In Gesprächen und Diskussionsrunden habe ich erfahren, dass sich die Angst bei der Streetfotografie in grob zwei Bereiche unterteilt. Der erste Bereich betrifft das rechtliche Handeln. Viele denken, dass die Streetfotografie ohne eine Erlaubnis des Abgebildeten verboten sei. Das ist in Deutschland nicht der Fall. Erst wenn man das Bild veröffentlichen will, gibt es einige Dinge zu beachten. Um hier keine rechtliche Diskussion anzustoßen, gehe ich einfach davon aus, dass mit dem Bild nicht geworben werden und dass damit nicht “andere” Geschichten geschmückt werden sollen. Es dienst also lediglich der Fotografie als “Streetfoto”. Dagegen wäre dann auch in Deutschland nichts einzuwenden, wie ja auch bereits Gerichtsurteile gezeigt haben. Wenn du also ernsthaft Streetfotografie betreibst, wirst du nicht gegen das Gesetz verstoßen.
Der zweite Bereich liegt in der menschlichen Psyche. Hier gibt es einige Facetten, die “gegen” die Streetfotografie arbeiten. Ein starker Grund ist die Angst vor Ablehnung, ein weiterer die Angst vor Gewalt und ein weiterer die Angst vor öffentlicher Schmach. Wenn jemand bemerkt, dass er fotografiert wurde und daraufhin aggressiv reagiert, lauthals schimpft und Drohgebärden von sich gibt – ja dann ist das für dich und viele andere Fotografen zu viel. Das willst du nicht. Wer will das schon? Wahrscheinlich niemand. Aber ist das auch so in der Realität? Ja das könnte durchaus einmal vorkommen. Ein geringes Risiko besteht da natürlich. Es besteht auch ein geringes, wenn nicht sogar höheres Risiko vom Auto an der nächsten Kreuzung überfahren zu werden. Schlechter Vergleich? Ich meine nein. Das Risiko besteht natürlich ganz real, wie die vielen Unfälle in Deutschland beweisen. Trotzdem gehst du zur nächsten befahrenen Kreuzung und hoffst darauf, dass dies nicht passieren wird.
Wie umgehen mit der Angst?
Ich glaube, du bist dir auch ziemlich sicher, dass du an der nächsten Kreuzung nicht überfahren wirst. Und das hat seine Gründe. In deiner Kindheit wurde dir eingebleut, immer erst nach links und dann nach rechts zu schauen, bevor du über eine Straße gehst. Da bin ich mir sicher. Und hat das geholfen? Ja. Da bin ich mir auch sicher. Heute ist dir das in “Fleisch und Blut” übergegangen, wie man so schön sagt. Das ist nichts weiter als Risikominimierung. Ein paar andere Risikominimierungsstrategien (Was für ein verkorkstes Wort!) hast du zusätzlich befolgt, damit das Risiko “an der Kreuzung überfahren zu werden” noch geringer wird. Dazu zählt zum Beispiel das Befolgen der Rotphase an der Ampel. Erscheint auch sinnvoll, zumindest dann, wenn der Verkehr noch vorhanden ist. Auch wirst du eine Straße nicht unbedingt dort überqueren, wo sie am befahrensten oder am breitesten ist. Das sind alles Dinge, die du im Laufe deines Lebens gelernt hast, entweder durch eigene Erfahrungen oder durch die Erfahrungen der Anderen. Das Gleiche kannst du natürlich auch in der Streetfotografie anwenden. Betreibe dort also auch Risikominimierung und mach dich schlau, welche Risiken denn real sind.
Reale Risiken vermeiden
Da stellt sich als Erstes die Frage, welche Risiken denn wirklich real sind. Artet jedes Foto in eine Schlägerei aus? Das würdest du sicher verneinen. Wie “hoch” ist denn das Risiko, dass dies passiert? Wie hoch ist das Risiko, dass man abgelehnt wird. Wollen sich die Menschen nicht fotografieren lassen? Das behaupten zumindest einige Fotografen, vor allem die, die in Foren unterwegs sind und die sich sehr “lautstark” dafür einsetzen. Vielleicht möchtest du selbst nicht fotografiert werden? Das ist der erste Punkt, den du überprüfen musst. Der zweite Punkt ist das Überprüfen deiner Annahme, dass sich kaum jemand fotografieren lassen will und der dritte Punkt ist die Überprüfung, inwieweit jemand wirklich aggressiv wird, wenn er fotografiert wurde und dies ablehnt. Man muss zuallererst also feststellen, wie real die eigenen Vorstellungen sind. Dazu kann man wie folgt vorgehen.
Will ich selbst fotografiert werden?
Diese Frage sollte man sich unbedingt zuerst stellen. Meine eigene Ansicht übertrage ich ganz gerne auch sehr schnell auf andere Menschen und muss mich dann nicht wundern, wenn ich davon ausgehe, dass die Anderen auch so denken müssen. Wenn ich also denke, “ich möchte nicht fotografiert werden in der Öffentlichkeit” – ja dann habe ich das erste Problem erkannt. Warum sollten sich dann andere Menschen fotografieren lassen, wenn ich dies auch nicht will? Eine gute Frage. Man sollte zuerst diese eigene Einstellung überdenken. Warum ist das so? Denke ich, ich sehe nicht gut genug aus? Habe ich körperliche Auffälligkeiten, wie einen dicken Bauch oder angeblich zu kurze Beine, ein hässliches Gesicht oder Ähnliches? Wahrscheinlich siehst du nur durchschnittlich aus, wie ich und viele andere Menschen auch. Wir sind verblendet durch die Werbung. Künstlich verbesserte Models sollen die Realität darstellen, dabei sind sie einfach nur fast verhungert und der Rest wurde in der Nachbearbeitung gemacht. Der durchschnittliche Mensch “muss” also hässlich sein. Daran kann man sich also ruhig gewöhnen. Ein Streetfotograf fotografiert normalerweise durchschnittliche Menschen. Man sollte sich zuerst selbst gut finden. und wenn man sich gut findet, dann will man auch fotografiert werden. An diesem Punkt beginnt also die Arbeit. Dafür benötigt man Selbstvertrauen. Also sollte man alles tun, was das Selbstvertrauen stärkt. Beispiele? Zum Beispiel Sport treiben, abnehmen, mit dem Rauchen aufhören, weniger Alkohol trinken und ähnliche Sachen, die sich eher einfach durchsetzen lassen. Man muss es nur tun. Die Aufgabe ist also klar. Wer sich nicht selbst gern fotografieren lässt, wird es immer schwerer haben in der Streetfotografie.
Mit Ablehnung umgehen!
Die zweite große Angst steckt in der Ablehnung. Niemand möchte abgelehnt werden, nicht beim Partner, nicht im Job, nicht bei Freunden und überhaupt. das gilt natürlich auch für die Menschen, die du auf der Straße fotografierst. Doch wieviele von ihnen lehnen dein Foto wirklich ab? Ich wette mit dir, dass du es nicht weißt. Du glaubst nur daran. Damit ist die nächste Aufgabe auch schon klar: Finde heraus, wieviele Menschen deine Streetfotografie ablehnen. Wie geht das? Man kann da auf verschiedene Art und Weise vorgehen. Geh einfach auf die Menschen zu und frage nach einem Foto. Viele denken ebenfalls wie du, dass sie zu hässlich seien und werden es daher ablehnen. Das führt aber zu mehreren Ergebnissen! Zum einen wirst du feststellen, dass es sehr wohl Menschen gibt, die sich auch gerne fotografieren lassen und zum anderen wirst du schnell erkennen, dass sich auch viele Menschen als hässlich empfinden. Sie drücken dies etwas schöner aus, indem sie sagen, sie wären nicht “fotogen” oder die Frisur sitzt heute schlecht. Aber du lernst noch viel mehr! Die meisten Menschen werden nicht aggressiv reagieren! Natürlich liegt es auch an der Kommunikation. So wie man in den Wald hinein ruft, so schallt es heraus. Was hilft? Lob hilft. Warum diesen Foto? Wegen der schönen Ausstrahlung, der schönen Augen, der interessanten Erscheinung, der coolen Frisur und da fällt einem nach und nach ja noch mehr ein.
Ein weiterer viel wichtiger Faktor ist aber der Lerneffekt, der zusätzlich auftritt. Man lernt mit Ablehnung umzugehen. Am ersten Tag sagt nur einer zu, am nächsten Tag schon zwei. Man wird entspannter. Warum? Es geht ja nicht um das Foto an sich und darum, unbedingt dieses Foto machen zu müssen. Es geht in erster Linie um das Lernen. Was lernt man?
- Es gibt Menschen, die sich gern fotografieren lassen.
- Lob hilft. Gute Kommunikation “nützt”.
- Es gibt sehr wenig aggressive Menschen. Auch da hilft Kommunikation.
- Die Ablehnung liegt oft nicht am Fotografen, sondern an den Fotografierten (Selbstbild).
- Mit Ablehnung umgehen. Man bekommt ein “dickes” Fell.
- Man lernt, die “richtigen” Menschen anzusprechen.
- Man lernt, Risiken aus dem Weg zu gehen.
Man gewinnt Selbstsicherheit!
Um so mehr man fotografiert, um so mehr steigt das Selbstbewusstsein. Hier geht es noch gar nicht um gute Streetfotos, es geht nur um den Abbau irrationaler Ängste und um die Zunahme von Selbstsicherheit. Danach kann man sich seinen Fotos widmen, also der Qualität. Wer nicht entspannt fotografiert, hat kaum eine Chance gute Streetfotos abzuliefern.
Was erreicht man durch diese Übung?
- Selbstvertrauen
- Abbau von Fremdsteuerung
- bessere Einschätzung der Lage und der realen Risiken
- mehr Spaß am Fotografieren
Was erreicht man nicht?
- Die Bestätigung der eigenen Vorstellungen.
- Die Bestätigung der Vorstellungen anderer Fotografen aus Diskussionsforen.
In diesem Sinne! Probiert es einfach aus. Wer sich nicht verändert und weiterentwickelt, bleibt stehen. Stehen bleiben heißt zurückfallen.
Grüße Tom